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Ein Game-Changer in der Low-Flow-Anästhesie

Vom Umweltschutz und wirtschaftlichen Vorteilen bis hin zur Patientensicherheit - die Low-Flow-Anästhesie bietet eine Vielzahl von Vorteilen. Die Komplexität des Verfahrens stellt in der Praxis jedoch oft eine Herausforderung dar. Dr. Jan Hendrickx, Experte für die Kinetik von Inhalationsanästhetika und Trägergasen beleuchtet, wie automatisierte Systeme die Anwendung des Verfahrens grundlegend verändern. Kliniker*innen können so die Vorteile zu nutzen und gleichzeitig die Komplexität mühelos bewältigen.

Was ist Low-Flow Anästhesie?

Die Low-Flow-Anästhesie basiert auf einem Rückatmungssystem, welches einen Frischgasfluss (FGF) verwendet, der geringer als die Minutenventilation des Patienten ist. Ein erheblicher Teil der ausgeatmeten Gase können mit diesem Ansatz vom Patienten wieder eingeatmet werden, mit Ausnahme von Kohlenstoffdioxid (das absorbiert wird).

Die Low-Flow-Anästhesie zeichnet sich im Allgemeinen durch einen FGF von weniger als 1,0 L/min aus. Innerhalb des FGF-Spektrums gibt es verschiedene Abstufungen wie Low Flow, Minimal Flow oder Metabolic Flow, die sich auf die weitere Reduzierung des FGF beziehen. Für Dr. Jan Hendrickx, Anästhesist im OLV-Klinikum in Aalst, Belgien, reflektieren diese historischen Begriffe nur drei Punkte des gesamten FGF-Spektrums, nämlich 1, 0,5 und 0,2 L/min: „Obwohl diese Begriffe weit verbreitet sind, ist es wesentlich präziser, den jeweils verwendeten spezifischen FGF zu benennen. Der Begriff der Lower-Flow-Anästhesie gewinnt hier zunehmend an Bedeutung. Dieser reflektiert die Anpassung an einen FGF unterhalb des aktuellen Verbrauchs. Es geht nicht darum, sich an eine strenge FGF-Definition zu halten, sondern die eigene Praxis auf die niedrigste FGF-Stufe zu entwickeln, mit der man gut arbeiten kann. Dieser Ansatz macht die traditionellen Unterscheidungen etwas willkürlich.“

Nutzen und Potenzial der Low-Flow-Anästhesie

Bei der Low-Flow-Anästhesie wird weniger Gas in die Atmosphäre emittiert, und die Gaszusammensetzung der eingeatmeten Luft wird verbessert:

  • Geringere Umweltbelastung

Alle Anästhesiegase wirken als Treibhausgase und gelangen letztendlich in die Atmosphäre. Einige davon haben ein bis zu 3.700-mal höheres Erderwärmungspotenzial als CO2[1], wobei Desfluran am stärksten ins Gewicht fällt. Bei der Low-Flow-Anästhesie werden weniger Narkosegase in die Umwelt emittiert. Für Dr. Hendrickx ist dies ein bedeutender Vorteil: „Das bei der Low-Flow-Anästhesie verwendete Kreissystem funktioniert im Grunde wie ein Recycling-System." Um die Umweltauswirkungen inhalativer Anästhetika zu reduzieren, rät der Experte zur Reduktion des Verbrauches besonders umweltschädlicher Substanzen, insbesondere Desfluran.

  • Erhalt von Wärme und Feuchtigkeit

„Ein zusätzlicher Vorteil ist die verbesserte Erwärmung und Befeuchtung der typischerweise kalten und trockenen Gase, die von den Wandauslässen des Operationssaals in das Kreissystem eintreten. Je niedriger der FGF, desto mehr CO2 wird durch den Absorber verarbeitet, was zu einer erhöhten Produktion von H2O und Wärme führt.“ Dies fördert die mukoziliäre Clearance, stabilisiert die Körpertemperatur, reduziert den Wasserverlust und steigert sowohl den Komfort als auch die Patientensicherheit[2].

  • Kostenreduktion

Die Narkosegaskosten machen einen Großteil der Gesamtbetriebskosten von Narkosegeräten aus. Die Senkung des Verbrauchs hat somit positive wirtschaftliche Auswirkungen.

  • Besseres fachliches Verständnis

Die erhöhte Aufmerksamkeit aufgrund der Komplexität des Verfahrens trägt zu einem tieferen Verständnis der Pharmakokinetik bei.

  • Erhöhte Sicherheit des OP-Personals

Da weniger unverbrauchtes überschüssiges Narkosegas in die Atmosphäre gelangt, wird dessen Konzentration im OP signifikant verringert und die Belastung für das OP-Personals reduziert.

Bemerkenswerterweise sind viele Vorteile der Verwendung eines Rückatmungssystems während der Anästhesie bereits seit 1924 bekannt, was den anhaltenden Wert dieser Technologie seit fast einem Jahrhundert unterstreicht[3].

Die Komplexität der manuellen Steuerung

Für eine sichere manuelle Steuerung während der Narkose ist es unerlässlich, die Unterschiede zwischen FGF, Minutenventilation, verabreichter und eingeatmeter Konzentration zu kennen sowie ein Gasanalysegerät zu verwenden. Werden diese Grundsätze nicht beachtet, kann es zu einer Über- oder Unterdosierung des Anästhetikums kommen, was zu Hypotonie und Wachheit des Patienten führt, sowie zu einer unzureichenden O2-Dosierung, die ein hypoxisches Inspirationsgemisch zur Folge hat. Dies ist laut Dr. Hendrickx der Grund, warum ein manuell kontrollierter niedriger Flow in der Praxis oft als schwierig oder riskant empfunden wird.

  • Schwierig: Durch die Verringerung des FGF vergrößert sich die Differenz zwischen der voreingestellten und der tatsächlich vom Patienten eingeatmeten Konzentration. Je niedriger der FGF ist, desto ausgeprägter wird dieser Unterschied. Dies kann zu einem Gefühl des Kontrollverlusts führen, da das, was "abgegeben" wird, nicht mit dem übereinstimmt, "was der Patient erhält".
  • Riskant: Eines der größten Risiken der Low-Flow-Anästhesie ist die Bildung von hypoxischen Gemischen. Die Verringerung des FGF in einem Rückatmungssystem kann den eingeatmeten O2 während der Rückatmung verdünnen (Abb. 1). Infolgedessen kann der inspirierte Sauerstoff unter die zugeführte Menge fallen. Wird diese Diskrepanz nicht sofort erkannt und behoben, können sich hypoxische Gemischen bilden.
  • Umständlich: "Eine Senkung der FGF bei Inhalationsanästhetika kann zu Diskrepanzen zwischen der zugeführten und der eingeatmeten Konzentration führen, ein langsameres Einschwemmen bewirken, häufigere Einstellungen des Verdampfers erforderlich machen, die Vorhersage der Einstellungen für einzelne Patienten erschweren und Schwankungen in der endexspiratorischen Konzentration des Wirkstoffs verursachen. Dieser Effekt verstärkt sich, wenn der FGF abnimmt", so Dr. Hendrickx. Ständige manuelle Anpassungen sind erforderlich, was das Risiko einer unzureichenden Narkosegaskonzentration und einer nicht ausreichenden Narkosetiefe erhöhen könnte. "Traditionelle Ansätze neigen dazu, mathematische Modelle zu sehr zu betonen, dabei ist Low Flow einfach. Wenn die oben genannten Prinzipien auf die inhalierten Wirkstoffe und O2-Konzentrationen angewendet werden, sind keine anspruchsvollen mathematischen Berechnungen erforderlich."

Der Schlüssel: Umstieg auf Automatisierung

"Die zielgesteuerte Low-Flow-Anästhesie in einem geschlossenen Kreissystem löst alle oben genannten Probleme", sagt Dr. Hendrickx. "Anstatt Durchflussmesser und Verdampfer manuell zu steuern, um eine bestimmte Narkose- und O2-Konzentrationen aufrechtzuerhalten, übernimmt dies ein Anästhesiearbeitsplatz, der mit einer automatischen Gaskontrolle ausgestattet ist. Diese passt die Einstellungen des Durchflussmessers und des Verdampfers automatisch an, um die Zielkonzentrationen zu erreichen. Damit können Ärzt*innen den FGF und damit die Verschwendung von Narkosegasen minimieren."

Die automatische Gaskontrolle (Automatic Gas Control, AGC) erleichtert die Steuerung der Sauerstoffzufuhr durch eine einzige FiO2-Zielvorgabe. Diese Einstellung hat Vorrang und bleibt von der Wahl der Narkosemittelgeschwindigkeit unbeeinflusst, wodurch das Hypoxierisiko verringert wird. Sie ermöglicht die Anpassung der Narkosemittelverabreichung an den Patientenzustand oder den Zeitpunkt des chirurgischen Schnittes und minimiert das Risiko einer Unter- oder Überdosierung. Mit einer Geschwindigkeitskontrolle und einem Echtzeit-Vorhersagetool kann die Zeit bis zum Erreichen des Zielwertes bestimmt und damit die Effizienz der Gaszufuhr erhöht werden. Die positiven Effekte der AGC werden durch die aktuelle Evidenzlage unterstützt und sind unter Experten konsentiert[1],[2],[3].

Die Flow-Anästhesiegeräte von Getinge sind mit einer AGC ausgestattet und ermöglichen Ärzt*innen eine sichere Anwendung der Low-Flow-Anästhesie. Sinkt die Sauerstoffkonzentration ohne Eingreifen des Arztes unter 21 %, interveniert ein sogenannter O2Guard. Dieser verhindert die Zufuhr hypoxischer Gemische und unterstützt, das Risiko einer Hypoxie zu minimieren. Dieser O2Guard ist der aktuell einzige kommerziell erhältliche aktive Hypoxieschutz[4],[5].

Eine smarte Investition in Nachhaltigkeit

Die AGC-Technologie ermöglicht eine sichere und signifikante Verringerung des Narkosegasverbrauchs um bis zu 58 %[6]. "Die Sicherheit unserer Patient*innen ist von unschätzbarem Wert, ebenso der Schutz unserer Umwelt. Zwar verringern geringere Durchflussmengen den Verbrauch von Narkosegasen, aber der Verbrauch von CO2-Absorbern wird erhöht. Meine bisherigen Analysen zeigen dennoch, dass mit diesem Ansatz sowohl die Kosten als auch die Umweltbelastung reduziert werden", betont Dr. Hendrickx. Mit spezifischen Modellen können diese Szenarien berechnet werden.

Die Low-Flow-Anästhesie bietet von ökologischen bis zu wirtschaftlichen Aspekten eine Reihe von Vorteilen. Die damit verbundenen Herausforderungen haben in der Praxis jedoch oft abgeschreckt. Innovative automatisierte Systeme verändern nun diese Praxis und ermöglichen es Kliniker*innen, die Vorteile zu nutzen und die Komplexität des Verfahrens nahtlos zu bewältigen.

 

[1] Sulbaek Anderson MP, et al. Inhalation anaesthetics and climate change. Br J Anaesth. 2010;105:760-766

[2] M. Bilgi, S. Goksu, A. Mizrak, et al. Comparison of the effects of low-flow and high-flow inhalational anaesthesia with nitrous oxide and desflurane on mucociliary activity and pulmonary function tests, Eur J Anaesthesiol 2011;28:279–283 

[3] Waters R.M 1924 Clinical scope and utility of carbon dioxid filtration in inhalation anesthesia. Anesthesia and Analgesia Feb p 20-22, 26

[1] Carette R, De Wolf AM, Hendrickx JF. Automated gas control with the Maquet Flow-i. J Clin Monit Comput. 2016 Jun;30(3):341-6.

[2] Lucangelo U, Garufi G, Marras E, et al. End-tidal versus manually-controlled low-flow anaesthesia. J Clin Monit Comput. 2014; 28: 117-121

[3] Brattwall M, Warrén-Stomberg M, Hesselvik F, Jakobsson J. Brief review: Theory and practice of minimal fresh gas flow anesthesia. Can J Anaesth. 2012 Aug;59(8):785-97. 

[4] Ghijselings IE, De Cooman S, Carette R, et al. Performance of an active inspired hypoxic guard. J Clin Monit Comput. 2016 Feb;30(1):63-8t.

[5] Hendrickx JF, De Wolf AM, De Hert S. O2, anybody? Eur J Anaesth 2015, 32:371–373.

[6] Kalmar A. et al. Minimizing sevoflurane wastage by sensible use of automated gas control technology in the flow-i workstation: an economic and ecological assessment. J Clin Monit Comput. 2022 Jan 3. doi: 10.1007/s10877-021-00803-z

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